klimawandel

We feed the World - Der Film

Tag für Tag wird in Wien genau so viel Brot vernichtet wie Graz verbraucht. Auf rund 350.000 Hektar vor allem in Lateinamerika werden Sojabohnen für die österreichische Viehwirtschaft angebaut, daneben hungert ein Viertel der einheimischen Bevölkerung. Jede Europäerin und jeder Europäer essen jährlich zehn Kilogramm künstlich bewässertes Treibhausgemüse aus Südspanien, wo deswegen die Wasserreserven knapp werden.

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Ein ruhiger, sachlicher, und gerade deswegen erschreckender Dokumentarfilm über Ernährung und Globalisierung, Fischer und Bauern, Fernfahrer und Konzernlenker, Warenströme und Geldflüsse.
Tag für Tag wird in Wien gleich viel Brot entsorgt, wie Graz verbraucht. Auf rund 350.000 Hektar, vor allem in Lateinamerika, werden Sojabohnen für die österreichische Viehwirtschaft angebaut, daneben hungert ein Viertel der einheimischen Bevölkerung. Jede Europäerin und jeder Europäer essen jährlich zehn Kilogramm künstlich bewässertes Treibhausgemüse aus Südspanien, wo deswegen die Wasserreserven knapp werden.

Mit WE FEED THE WORLD - ESSEN GLOBAL hat sich Erwin Wagenhofer auf die Spur unserer Lebensmittel gemacht. Sie hat ihn nach Frankreich, Spanien, Rumänien, Brasilien und zurück nach Österreich geführt. Roter Faden ist ein Interview mit Jean Ziegler, UNSonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung.

WE FEED THE WORLD - ESSEN GLOBAL ist ein Film über Ernährung und Globalisierung, Fischer und Bauern, Fernfahrer und Konzernlenker, Warenströme und Geldflüsse - ein Film über den Mangel im Überfluss. Er gibt in eindrucksvollen Bildern Einblick in die Produktion unserer Lebensmittel sowie erste Antworten auf die Frage, was der Hunger auf der Welt mit uns zu tun hat. Zu Wort kommen neben Fischern, Bauern und Fernfahrern auch Jean Ziegler und der  Produktionsleiter von Pioneer Rumänien sowie Peter Brabeck, Konzernchef von Nestlé International, dem größten Nahrungsmittelkonzern der Welt.

 


 

We feed the World - Zitate:

»Heute kostet der Streusplit mehr als der Weizen, den der Bauer produziert. Und das müssen die Leute wissen. Das müssen die Leute wissen.« Hans Schrank, Landwirt

»Also so was würde ich nicht essen. Wir sagen: es ist nicht zum Essen, es ist nur zum Verkaufen.« Philippe Cleuziou, Fischer (Bretagne, Frankreich)

»You know we fucked up the west a few times, and now we are coming to Romania, we will fuck all the agriculture here. Aber wie gesagt, ein Konzern ist eben ein Konzern. Ein Konzern hat kein Herz.« Karl Otrok, Produktionsleiter Pioneer Rumänien

»Die Weltlandwirtschaft könnte ohne Problem 12 Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.« Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung

»Unser Boden ist gut, aber für Soja ist er nicht geeignet. Wir müssen alle Nährstoffe herbringen und künstlich zuführen. Die europäischen Tiere fressen den Regenwald von Amazonien und Mato Grosso auf. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie die moderne Landwirtschaft weltweit arbeitet.« Vincent José Puhl, Biologe (Mato Grosso, Brasilien)

»Dieses Wasser hier ist nicht gut, aber wir trinken es. Die Kinder bekommen manchmal Fieber davon. Es kommt viel Schmutz ins Wasser, wir wissen gar nicht, was alles hineinkommt.« José Maxiliamo de Souza, Kleinbauer (Pernambuco, Brasilien)

»Der Einkäufer und der Konsument hat keine Ahnung mehr, wie was funktioniert und wie was gemacht wird. Weltfremder werden die Leute und brutaler und härter. An sich interessiert den Handel der Preis, der Geschmack ist kein Kriterium.«
Hannes Schulz, Geflügelzüchter (Steiermark, Österreich)

»Wasser ist ein Lebensmittel und so wie jedes andere Lebensmittel sollte das einen Marktwert haben.« Peter Brabeck, Konzernchef Nestlé International (Genf, Schweiz)

 


Interview mit Erwin Wagenhofer:

 

Wie ist die Idee zu diesem Film entstanden?

Mein letzter Film OPERATION FIGURINI hat sich mit einem Kunstprojekt auf Wiener Märkten beschäftigt. Der neue Film sollte anfangs ein ausführlicher Dokumentarfilm über Wiener Märkte und die dort verkauften Produkte werden. Ursprünglich wollte ich am berühmtesten Markt in Wien beginnen, am Naschmarkt, und ihm unter den Rock zu schauen: wo kommen die Tomaten her und all die anderen Produkte? Und mit den Tomaten haben wir dann auch tatsächlich angefangen. Wir haben recherchiert und sind eben nach Spanien gekommen. Wir haben eben als erstes die Tomatengeschichte gedreht.

Haben Sie erwartet, dass Sie in Spanien auf so eine große Sache stoßen?

Es hat mich von Anfang an nicht interessiert, ob da Pestizide im Spiel sind oder irgendwelche verbotenen Geschichten. Es haben mich von Anfang an die Zusammenhänge interessiert. Im Fall der spanischen Tomaten, da war das für mich, bevor ich dort war, schon irgendwie ganz komisch, warum ein simples Produkt wie eine Tomate dreitausend Kilometer reisen muss, bis es zu uns kommt. An dieser Idee hat mir irgendwas nicht gefallen.
Und das war dann auch die Hauptgeschichte. Dass in Spanien die größte Gewächshausanlage der Welt existiert, das
haben wir erst dann dort erfahren.

Was waren Ihre größten Aha-Erlebnisse?

Die größten Aha-Erlebnisse sind im Prinzip natürlich die Ausmaße dieser Produktionsstätten. Es ist natürlich schon beeindruckend, welche Dimensionen das annimmt. Bei den Hühnern zum Beispiel waren wir in mittelgroßen österreichischen Stallungen mit 35.000 Hühnern. Es gibt auch welche mit 70.000. Das ist dann nicht beeindruckend, es entsteht irgendwie ein ungutes Gefühl. Das schlimmste in diesem ganzen Film, was mir persönlich widerfahren ist, war bei einem Dreh Interview mit Erwin Wagenhofer sehr früh am Morgen. Wir haben gedreht, wie die Hühner gefangen werden. Es ist dunkel, weil sie da noch nicht hysterisch sind - bei Tageslicht würden sie hysterisch werden und sich nicht so leicht fangen lassen - wir sind also bei fast völliger Dunkelheit dort rein gegangen. Die eine Sache ist der Gestank, die zweite Sache ist der Lärm, die dritte Sache - und das war für mich das schlimmste - war,
in eine Halle zu gehen, wo fünf Wochen lang Hühner in die »Sagscharten« reingeschissen und reingepisst haben, das ist alles ganz, ganz weich und irgendwann macht es »Hops« und du steigst auf ein totes Tier. Das war für mich der schlimmste Moment, das war schlimmer als die Schlachthalle, in der wir auch gedreht haben.

Wie ist es Ihnen und Ihrem Team gelungen, in diesen Produktionsstätten zu drehen und Interviews führen zu können?

Es war sehr schwer, Leute zu finden, die das sagen, was sie sich denken. Du findest sofort an jeder Ecke einen Landwirt, der nach zwei Minuten über die Strukturen, über die Preise, über die Lebensmittelketten namentlich schimpft. Aber nicht vor der Kamera. Die Bauern, die Lebensmittelproduzenten stehen alle auf den Verteilern von zwei wesentlichen Lebensmittelketten hier in Österreich, und sie haben eine Riesenangst, dass sie nicht mehr verkaufen dürfen an die Kette A oder B. Das ist ganz enorm. Letztlich hat uns meine Herangehensweise geholfen. Ich komme nie mit der Kamera, sondern ich fahre sehr oft, bis zu fünf Mal, vorher alleine an den Drehort. Ich nenne das vertrauensbildende Maßnahmen. Ich mache mich nicht lustig über die Leute, das sieht man ja im Film. Darauf bin ich auch sehr stolz. Auch nicht über den Nestlé-Chef Brabeck. Ich begegne Brabeck genauso wie einem Bauern irgendwo in der Steiermark oder im Weinviertel. Es hat uns nicht interessiert, etwas Verbotenes aufzudecken - das ist ganz wichtig! - die Frage war nicht: was ist hier Verbotenes, sondern wie sind die Zustände unter ganz normalen, legalen Bedingungen? Es ist nichts in diesem Film, was außerhalb des legalen Rahmens ist. Es ist alles gesetzlich gedeckt. Es ist keine einzige Schweinerei drinnen, das hat mich von Anfang an gar nicht interessiert. Dass Kartoffeln von München nach Triest transportiert werden und dort, ich weiß nicht was, abgestempelt werden und wieder nach Regensburg zurück reisen und dort verpackt werden und dann nach Budapest transportiert werden, damit dort Chips
daraus gemacht werden, das interessiert mich nicht. Ausgenutzte Schlupflöcher gibt es in jedem gesetzlichen System, da wird schnell versucht, raubritterartig Geld daraus zu machen, dann kommen die Gesetzgeber auch darauf, machen das Schlupfloch zu, und es ist wieder vorbei. Mich interessieren die Dinge, die längerfristig sind. Das in Spanien läuft ja seit den 60er-Jahren, wie unser Kontaktmann vor Ort, Lieven Bruneel, auch gesagt hat. Das wird aufgebaut und das wird immer größer und immer größer und immer unübersichtlicher und jetzt gibt es Wasserknappheit. Uns hat interessiert, wie wird überhaupt die Arbeit bewerkstelligt? Warum kommen die Afrikaner?

Wie sind Sie an Leute wie Karl Otrok gekommen?

Karl Otrok ist ein Cousin von Gerhard Ströck, den ich über die Brot-Recherche kennengelernt habe. Karl Otrok lebt ja in Rumänien und ist nicht so direkt greifbar, immer nur kurz an den Wochenenden. Ich war schon fünf, sechs Wochen
mit ihm in Kontakt, es war schon Erntezeit und höchste Eisenbahn, wenn wir noch drehen wollten, solange die Früchte auf den Feldern sind. Es gab dann nur noch eine Möglichkeit, ihn um acht in der Früh am Flughafen vor seinem Abflug nach Bukarest zu treffen. Es war ein Montag. Am Flughafen hat er gleich begonnen, all das zu sagen, was er dann letztlich auch im Film gesagt hat. Und ich sage: Stopp Herr Otrok, sagen Sie mir das, wenn eine Kamera läuft? Ja! Gut, dann fliegen Sie jetzt um zehn und wir fahren um fünf mit dem Auto los. Und genauso haben wir es dann auch gemacht.

...Jean Ziegler?

Das war interessant. Ihn habe ich zuerst getroffen. Ich verfolge seit Jahren seine Literatur und seine Fernsehauftritte und habe große Hochachtung vor seiner Arbeit - Jean Ziegler hab ich aber nur aus dem Grund interviewt bzw.
er hat uns nur aus einem Grund interessiert, weil er diese UNO-Funktion hat. Jean Ziegler als Jean Ziegler würde sofort in eine linke Ecke gestellt werden, da er aber diese hohe UNO-Funktion hat, Sonderberichterstatter ist
für das Menschenrecht auf Nahrung, ist er interessant für den Film. Ich habe Jean Ziegler einen Brief geschrieben, und da Jean Ziegler ein Anhänger der Französischen Revolution ist, hab ich den Brief am 14. Juli abgeschickt. Ich habe ganz lang an diesem Brief herumgefeilt, und zwei Tage später hat er mich angerufen. Wir haben uns dann später im Oktober in Genf getroffen.

...Peter Brabeck?

Auf unsere Anfrage, ihn zu treffen, hat man uns an Mitarbeiter von Nestlé Österreich verwiesen, mir war aber klar: entweder krieg ich Brabeck oder gar niemanden. Dann war lange Zeit Funkstille bei Nestlé, und als ich im Oktober bei Jean Ziegler in Genf war, hab ich mir gedacht, ich schau einfach bei Nestlé vorbei, habe am Vortag angerufen und zum Konzernsprecher gesagt, ich komme morgen, dann können wir direkt miteinander sprechen. Und das war der entscheidende Punkt. Das war ganz, ganz wesentlich, dass ich dort als Figur aufgetaucht bin, dass ich fassbar und greifbar war, und so ist es dann ganz schnell auch zu diesem Interview gekommen. Also Interview mach ich ja keins, aber diesen Gesprächstermin mit Herrn Brabeck, der am 11.11.2004 war, Faschingsbeginn, und wir haben eineinhalb Stunden dort bei ihm gedreht. Wir haben vorher die Themen festgelegt - das war Gentechnik, Wasser, Hunger und die Stellung der Nahrungsmittelkonzerne. Mir war völlig klar, der Herr Brabeck hat in seinem Leben wahrscheinlich schon, ich weiß nicht wie viele Rhetorikseminare hinter sich, dem kann ich rhetorisch nicht kommen, der spult sein Programm ab, der will seine Message los werden. Und wie kann ich ihm das Gefühl geben, dass er die Message los
wird und ich ihn andererseits ein bisschen involviere in Dinge, die er vielleicht so nicht sagen will. Meine Hypothese war, wenn ich ihn lang genug sprechen lasse, kommt irgendwann der Punkt, wo er das sagt, was er als Mensch auch wirklich denkt. Und das Konzept ist dann auch voll aufgegangen. Und ich bin auch ganz sicher, dass Peter Brabeck überhaupt nichts gegen den Film haben wird und dagegen, wie wir das Interview montiert haben. Er sieht die Welt so, das ist seine Weltsicht, er hat sie zu vertreten. Er vertritt eben auch die Konzerne, das ist sein Job, dafür kriegt er extrem viel Geld bezahlt. Er ist für mich nicht der Böse. Das ist die eine Haltung, und es gibt eine andere.

Stichwort Arbeitsweise - wir haben da einen 96-Minuten-Film, was steckt dahinter? Wie lang haben Sie daran gearbeitet?

Wir haben 2003 mit dem Drehbuch begonnen, die Finanzierung zum Ende des Jahres relativ schnell gesichert. Wirklich zu drehen begonnen haben wir im März 2004, den letzten Dreh hatten wir im April 2005. Es waren insgesamt rund 75 Drehtage, wir haben fast 130 Tage geschnitten, es hat durch meine Arbeitsweise irrsinnig viel Begehungen gegeben, vertrauensbildende Maßnahmen, Treffen mit den Leuten, immer wieder Treffen. Gedreht wurden 84 Stunden Material, das auf 96 Minuten zusammengebaut worden ist.

Was waren die allergrößten Schwierigkeiten?

Die allergrößte Schwierigkeit beim Dokumentarfilm ist, am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt zu sein. Und man muss Laien motivieren, dass sie mit einem mitgehen. Eine andere Schwierigkeit war die Sprache. In Frankreich waren wir mit einem Fischer auf einem Boot unterwegs, wo nur wir zwei - Lisa und ich - Platz hatten. Da hätte zum Beispiel gar keine Dolmetscherin oder Dolmetscher Platz gehabt. In Brasilien hatten wir zwar eine Dolmetscherin, die hat die Dinge aber so übersetzt, wie sie denkt, dass sie zu übersetzen sind, und nicht das, was gesagt wird. Sie kam noch dazu aus der Branche, was ganz schlimm ist. Jetzt hat sie immer geglaubt, sie muss uns zu den Orten führen, wo sie die anderen Teams auch hinführt. Wir haben sie erst einmal überzeugen müssen, dass wir nicht dort hin wollen, wo sie hin will, sondern dorthin wo wir hin wollten. Und das war 3.000 Kilometer weit weg in einem anderen Landesteil.

Haben Sie manchmal emotionale Schwierigkeiten gehabt?

Emotionale Schwierigkeiten haben wir nicht wirklich gehabt - muss ich ehrlich sagen. Auch bei den Armen, die dort Hunger leiden, hätte es mich überhaupt nicht interessiert, Menschen zu filmen, die knapp am Verhungern und sterbenskrank vor uns herumliegen und sich gar nicht mehr bewegen können, und wir kommen jetzt da hin mit unserer blöden Kamera... Es ist das schöne, dass wir Menschen haben, die sehr vital sind und aus dieser Notsituation noch etwas machen, und dass da noch ein Funken Hoffnung ist in dem Ganzen. Was mir eigentlich viel mehr zu denken gibt, ist, wenn man dann in Brasilien steht, und es heißt: Mato Grosso. Mato Grosso heißt großer, dichter Wald - aber der große, dichte Wald ist nicht mehr da. Er ist einfach weg. Interessanterweise gibt es Leute, die den Film anschauen, die sind von dem Film überhaupt nicht berührt, aber die regen sich fürchterlich auf, weil ein kleines Küken zwanzig Zentimeter wo runterfliegt. Die Sichtweise, wie man diesen Film lesen kann, ist sehr offen. Jeder kann daraus seine Schlüsse ziehen.

Was war die größte Herausforderung?

Die filmische Herausforderung war: sinnliche Erfahrungen - Film ist ja was Sinnliches - mit harten Fakten zu vermischen. Das war wirklich schwierig, das haben wir mit Zwischentiteln gelöst, und es ist - glaub ich - auch dramaturgisch ganz gut gelungen, dass man Fakten bringt und dann wieder nachlässt und ruhiger wird und was zum Schauen bringt und dann wieder Fakten und wieder zurückgeht und dass der Film über Stimmungen funktioniert.

Von Dokus erwartet sich das Publikum die Wahrheit, kann man Wahrheit überhaupt zeigen?

Da halte ich es mit Heinz von Förster, der gesagt hat »Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners«. Was die Wahrheit genau ist, weiß ich nicht. Wenn es sechs Milliarden Menschen gibt, dann gibt es sechs Milliarden Wahrheiten. Jeder hat seine subjektive Sicht, und das finde ich auch super. Ich bin ein Fan vom Subjektiven, ich bin ein Fan vom Authentischen - egal in welchem Bereich und in welcher Form. Die formale Unterscheidung von Dokumentarfilm und Spielfilm gibt es nur im Film, die gibt's sonst nirgends. In der Musik kommt kein Mensch auf die Idee, dass Brahms dokumentarisch war und Beethoven fiktional. Meiner Meinung nach ist es so, dass der Spielfilm mit dem arbeitet, wie das Leben sein könnte. Und der Dokumentarfilm arbeitet mit dem, wie das Leben ist. Und wir sind vor längerer Zeit ausgezogen und haben uns dieses Thema vorgenommen und haben versucht, diesem Thema eine Facette abzuringen, was an vielen Punkten und Momenten ein ziemlicher Kampf war. Und da ich halt der Filmemacher bin, muss der Film auch was von mir haben, es ist also jetzt ein Film, wie ich in dieser Zeit, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, diese Dinge gesehen habe. Es ist ein ganz subjektiver Film von mir auf diese Lebensmittelindustrie und -produktion, auf den Umgang mit Lebensmitteln. Es ist ein subjektiver Blick. Und mich hat nur eines interessiert: was hat es mit uns zu tun? Was haben die spanischen Tomaten mit uns zu tun, was haben die Afrikaner, die dort die Tomaten pflücken und ernten und die Arbeit dort bewerkstelligen, mit uns zu tun, was hat das Abholzen des Regenwaldes mit uns zu tun? Was hat der Herr Brabeck mit uns zu tun, außer dass wir seine Produkte essen, und er ein Österreicher ist. Der Slogan unserer Zeit lautet »Profit um jeden Preis«. »Raubtierkapitalismus«, wie es Jean Ziegler nennt. In 20 Jahren wird in Spanien vom Tomatenanbau nicht viel übrig sein, es wird irgendwo auf der Welt einen anderen Platz geben, wo man viel billiger Tomaten herstellen kann. Oder Gurken. Oder irgendwas.

Die Globalisierung ist auch nicht gut oder schlecht, die Frage ist, wie wir damit umgehen. Das ist alles. Wenn wir so damit umgehen wie jetzt, wird alles nicht mehr lang funktionieren und man merkt auch, dass die Menschen die Schnauze voll haben. Das merkt man bei den EUReferenden, da wird dann die EU wieder an falschen Punkten getroffen. Es ist ein Ausdruck einer inneren Unzufriedenheit mit einem System, das wir haben. Das ist gut, und dazu ist dieser Film ein Beitrag. Möchten Sie mit dem Film eine Botschaft transportieren? Jetzt könnte ich mit einem meiner Lieblingsregisseure antworten. Polanski hat man gefragt: Haben sie eine Botschaft? Und er hat gesagt: Würde ich eine Botschaft haben, dann würde ich sie mit der Post schicken. Ich dreh das für mich genau um: würde ich keine Botschaft haben, würde ich bei der Post arbeiten. In diesem Film ist der Aufhänger die Lebensmittelproduktion, aber die Botschaft ist: wir müssen anders leben.

Wir können so sicher nicht weiterleben. Wir müssen anders leben, wir müssen anders essen, anders einkaufen, wir müssen andere Filme anschauen. Darum heißt der Film WE FEED THE WORLD nicht »They feed the world« - they, die Brabecks und die Pioneers und wie sie alle heißen, die sind alle Teil unserer Gesellschaft, und das ist die Verantwortung, die wir übernehmen müssen, das liegt in diesem »wir« drinnen. Wir, wie Jean Ziegler sagt, die Zivilgesellschaft. Wir sind alle Konsumenten, wir gehen in Supermärkte, wir müssen essen, wir können bestimmen, das ist eine Macht! Wir wollen keine Tomaten zu Weihnachten, wir wollen keine Erdbeeren zu Weihnachten, wir wollen
nicht, dass Lebensmittel dreitausend Kilometer dahergeschippert werden. Wir wollen nicht, dass unsere Tiere den brasilianischen und südamerikanischen Regenwald auffressen. Nur wir. Ja, wer denn sonst?

Das Interview führte Birgit Kohlmaier-Schacht in Wien, am 28.6.2005